Das ICD-10-Schema und komplexe Traumatisierung

Das ICD-10-Schema und komplexe Traumatisierung

In Deutschland werden Krankheiten nach dem international gültigen ICD-Schema klassifiziert und abgerechnet (International Statistical Classification of Diseases and related Health Problems).

Im derzet gültigen ICD-10-Schema kommt “komplexe Traumatisierung”  – eine häufige Folge frühkindlicher Stresserfahrungen – als Krankheitsbild nicht vor. Die Neufassung, das ICD-11, wurde 2019 verabschiedet und ist seit 1.1.2022 international in Kraft. Dort hat der Begriff “Complex Post Traumatic Stress Disorder (6B41) Eingang gefunden.

Der Einführung des ICD-11 in Deutschland geht jedoch ein mehrjähriger Umsetzungsprozess in deutsches Recht voraus. Wann dies geschieht, ist unklar, wird aber noch mehrere Jahre dauern. Einzig die Klassifizierung der Todesfälle soll ab 2027 nach ICD-11 erfolgen. Wann mit der Umstellung der Krankheitsdiagnosen zu rechnen ist, bleibt offen (siehe Veröffentlichung des Barmer Gesundheits-Informationsdienstes).

Bis dahin gilt das ICD-10-Schema. Der Diagnosekatalog enthält nur Beschreibungen für einzelne Symptome des Störungsbildes wie “PTBS, Bindungsstörung, Störung des Sozialverhaltens”, was zu Missverständnissen, Fehldiagnosen und falschen Therapieansätzen führt. Denn: die Behandlungsmethoden für die “klassische” PTBS geht immer davon aus, dass das traumatische Erlebnis erinnerbar und verbalisierbar ist. Pränatale Stresssituationen (etwa durch massiven Stress der Mutter) oder solche im frühen Kindesalter erfüllen diese Bedingung nicht. Schon in der Anamnese stoßen viele klassische Fragebögen an ihre Grenzen. Dies ist umso brisanter, als die schriftlichen Diagnosen häufig als Entscheidungsgrundlage für die Therapie, sondern auch für Leistungsträger und -erbringer von sozialen Diensten sind sowie der Gerichte dienen. 

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