"Die Gesellschaft wird niemals mit Medikamenten ausgleichen können, was an Krankheiten
aus Mangel an sozialer Zuwendung und psycho-sozialem Wohlbefinden entsteht." (Helmut Pauls)
Frühe Stresserfahrungen in der Kindheit können schwerwiegende Folgen für das spätere Leben haben. Wer im vorsprachlichen Bereich traumatische Erfahrungen gemacht hat, kann diese kaum benennen, doch der Körper erinnert sich.
Je früher ein Kind traumatischen Erlebnissen ausgesetzt ist, desto dramatischer können die Folgen in späteren Jahren und über die gesamte Lebensspanne sein.
Wir geben Betroffenen und deren Bezugspersonen eine Stimme.
Wir vernetzen uns mit Vertretern des Sozialsystems und des Gesundheitswesens.
Inobhutnahmen in Deutschland 2022*:
66.400
Zuwachs gegenüber 2021:
40%
Von einer frühkindlichen Traumatisierung spricht man, wenn die Psyche in frühester Kindheit überwältigende Verletzungen erleidet, die langfristig Spuren hinterlassen.
Auch pränataler (vorgeburtlicher) Stress gehört dazu, etwa durch massive psychische Belastung der Mutter oder Versuche von Schwangerschaftsabbrüchen. Früh erlebte emotionale Vernachlässigung, Missbrauch und Bindungsabbrüche können zu andauernden Schwierigkeiten in der Emotionsregulation, der Bindungsfähigkeit und Identitätsentwicklung führen.
Früher Stress wirkt sich erheblich auf die Gehirnentwicklung aus. Denn um solch "unsagbar" schlimme Ereignisse zu kompensieren, entwickelt das Kind Überlebensstrategien wie z.B. die Abspaltung (Dissoziation) des Erlebten. Es ist damit dem Bewusstsein nicht mehr zugänglich, bleibt aber im Unterbewusstsein gespeichert. Inwieweit diese Reaktionen als "Krankheit" zu bezeichnen sind, wird in der Fachwelt diskutiert.
Da die Ereignisse im vorsprachlichen Alter stattgefunden haben, können die Betroffenen das Trauma auch später im Leben weder erinnern noch sprachlich benennen oder erklären. Die meisten sprachbasierten Testungen und Therapien laufen daher ins Leere, und die Patienten wissen meist selbst nicht, warum sie in bestimmten Situationen plötzlich so deutlich anders reagieren als die meisten Menschen. Es erfordert Fachwissen, Erfahrung und Geduld, um frühkindliche Traumatisierungen zu erkennen und adäquat zu behandeln.
Im Gehirn eines Embryos entstehen bis zu
250.000 Neuronen
in
1 Minute
Neben Kindern, die in ihrer frühen Kindheit in Krisen- oder Kriegsgebieten schlimme Erfahrungen machen mussten, sind vernachlässigte Kinder sowie Opfer sexualisierter und ritueller Gewalt betroffen. Hierbei ist von einer großen Dunkelziffer auszugehen, da sich viele Vergehen im familiären Rahmen oder Bekanntenkreis abspielen, und sich die Opfer täterloyal verhalten. Dieser Effekt ist ebenfalls als psychologische Überlebensstrategie beschrieben.
Häufig betroffen sind auch Kinder, die eine oder mehrere Trennungserfahrungen gemacht haben, z.B. Adoptiv- und Pflegekinder. Das bedeutet nicht, dass jedes Adoptiv- oder Pflegekind darunter leidet. Bei vielen Adoptierten verläuft die Biografie unauffällig oder sogar besonders erfolgreich. Studien weisen aber darauf hin, dass Adoptiv- und Pflegekinder ein signifikant höheres Risiko tragen, psychisch so stark belastet zu sein, dass sie therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen müssen.
Viele Menschen, die von frühkindlicher Traumatisierung betroffen sind, trauen sich nicht an die Öffentlichkeit – und das mit gutem Grund, denn es droht eine Stigmatisierung mit Diskriminierung, schulischen oder beruflichen Nachteilen. Dabei gibt es zahllose Schicksale von Menschen, die ähnliches erlitten haben.
Wir möchten Betroffene auffordern, ihre Geschichte anonym zu veröffentlichen. Schicken Sie uns eine Nachricht, wenn Sie dazu beitragen möchten, frühkindliche Traumatisierung aus der Tabuzone zu holen und anderen Mut zu machen.
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*Quelle: Destatis Pressemitteilung 26.6.2023